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Veit Relin

Ja, meine Damen und Herren, lieber Philip und meine liebe Geli, wenn Sie diese Ausstellung sehen, dann werden sie schnell erkennen, dass Veit Relin keineswegs gestorben ist. Im Gegenteil. Er ist mit seiner Lust am Leben mitten unter uns. Allein mit seinen Zeilen, wenn Sie sie gelesen haben – eine sehnsüchtige und lebenstolle Provokation. Aber immer auch mit einer gehörigen Portion Selbstironie. Ein Künstler, der reflektiert. Und dafür in drastischen Allegorien witzige Bilder vom wankelmütigen Turm oder frommen Austern erfindet. Erotisch und mit dem poetischen Wunsch nach der Erlösung durch die Weiblichkeit. Dass ist äußerst vergnüglich. Zugleich aber auch anrührend. Und voller Musik.


Und wenn sie unter dieser Prämisse durch die Ausstellung spazieren, dann werden Sie merken, dass Wort und Bild bei Veit Relin in völligem Einklang stehen. Es gibt für ihn kein Tabu, nicht im Fühlen, nicht im Denken, nicht im Tun. Seine Kunst ist primär. Sie ließ sich nie domestizieren. Frei und ungezwungen, sowohl im Theater als auch im Bild. Und wer sich auf sie einlässt, begegnet einem Menschen, der mit Kühnheit zu Werke ging. Auch in Sommerhausen. In dem kleinen Theater nach all den Jahren auf den großen Bühnen. Sie haben sicher seine Vita im Treppenhaus gelesen. Aber ich will dazu einen kleinen Einschub zu dem Beginn im Torturmtheater machen, in dem er ein Gesamtkunstwerk schuf. Mit Inszenierungen, Rezitationen, Bildern und Musik. Und sich selber.


Im Schatten der Bischofsstadt Würzburg spielte er „Die Pfarrhauskomödie“ von Lautensack, entdeckte Leonhard Frank, den vergessenen Sohn Würzburgs, mit „Karl und Anna“ wieder, spielte Ur- und Erstaufführungen, Provokantes und Zauberhaftes und ist unerbittlich geblieben in der Kunst. Er hat nicht nur das kleine Theater neu erfunden, er hat sich hier auch seine Heimat erobert. Hier ist er angekommen bei seiner – wie er zu sagen pflegte – fränkischen Madonna mit den Biedermeierhänden, bei Angelika Relin, seiner Frau. Dass diese aber auch mit Klugheit und Übersicht im Theater agierte und immer noch agiert, Kostüme entwirft und mit den Biedermeierhänden in Riesentöpfen Große Küche für hungrige Premierengäste kocht, das wussten sein elitärer Kopf und sein Appetit zu schätzen.


Veit Relin – wer sich auf ihn einlässt, begegnet einem Menschen. Einem Menschen, der aus dem Innersten heraus eine Linie zu sich selbst gefunden hat. Diese Linie macht Veit Relin, den Künstler, aus. Hartnäckig hat er sie
verteidigt und mit Liebe hat er sie gepflegt. Sie ist Bild für ihn und Wort, filigranes Denken und opulente Szene. Die Linie ist für Veit Relin die Grenze zwischen Schein und Wirklichkeit. Sie ist Zäsur. Sie trennt das Gefühl vom Geist und erfindet eine neue Realität. Und dort muss sie bestehen. Ein Strich nur im Ansatz, in dem doch schon das Ergebnis wohnt. Der ganze Mensch. Der ganze Relin.


Und dieser kommt uns sehr nahe in seiner Direktheit. Das war immer sein Anliegen. Er wollte das Ausloten des Unmöglichen. Er suchte das Abenteuer in der Kunst. Das war provokant zu einer Zeit, als es nach dem Zweiten Weltkrieg ans Restaurieren ging. Dass die Wildheit des Gefühls eine Poesie barg, die sich in der Verschlüsselung von Wort und Bild offenbarte, das wollten die Ruhestifter gerne übersehen.


Der Künstler Veit Relin – diese Ausstellung nun lässt ihn mit all dem sichtbar werden, was ihn sein Leben lang ausmachte. Seine Liebe zu diesem Leben. Zum prallen Leben mit all seinen Facetten. Und so entstanden Kunstwerke, die alle für sich kleine Kostbarkeiten sind. Persönliche Momente, reizende Situationen, bunte Erotik und immer sehr viel vergnüglicher Intellekt. Nichts Voyeuristisches, sondern eine beschwingte Leichtigkeit im Umgang mit der Nacktheit, die erheitert. Kleine Inszenierungen allesamt wie auf einer Bühne, mit Posen, die aus der Linie heraus das Situative erfassen. Diese Linie verhüllt und enthüllt. Sie beschreibt nicht nur die Wirklichkeit, sondern das Gefühl im Raum. Hier wird’s Gestalt, dieses Gefühl, denn Veit Relin lässt dabei das schiere Leben aus der Feder fließen. Das nackte, unverhüllte Leben. Wie eine Haut legt er die Linie um den Körper und bekleidet nach und nach seine Nacktheit mit dessen innerem Wesen. Diese Linie, ein Strich nur im Ansatz, in dem schon das Ergebnis wohnt. Der ganze Mensch, der ganze Relin, der nichts ausließ, nicht in der Kunst, nicht in der Wirklichkeit. Sein expliziter Blick für das Wesentliche spielt mit Freude auf der Klaviatur des Lebens und zeigt sich in all den hier präsentierten Akten. Akte in Kohle, Tusche, Kreide, Pinsel, aquarelliert und als Kaltnadelradierung. Akte im Stehen, Sitzen und Liegen. Ganz wie von selbst wachsen sie aus dem Blatt. Doch dieser Augenblick des Entstehens erfordert höchste Konzentration, um das Unsichtbare hervorzulocken. Dieses ist mutwillig und erheiternd, sprühend und fabulierend, anmutig und rhythmisch, verwegen und sinnlich. Es räkelt sich wie eine Katze und krönt in aller Unschuld die Brust mit roten Tupfern, so wie ein Kuss, und enthüllt die Scham mit leichtfüßiger Lässigkeit. Ein selbstvergessener Paradiesgarten, der immer und überall mit bunten Effekten lockt. Diese können in kalligraphischer Leichtigkeit fliegen wie in den frühen, ins Abstrakte spielenden und fernöstlich anmutenden Akten von 1969, sie können als gelber Hut einen leicht verträumten weiblichen Akt zieren, dessen Gesicht mit feinem Lächeln zart zur Seite geneigt ist. Ein gelber Hut, der von Kopf zu Kopf wandert, auf einem wuseligen Schopf thront, oder auf dem Kopf eines sich leicht dehnenden Körpers sitzt. Ob das nun die schwelgerisch ihre Masse präsentierende „Üppige mit verschränkten Armen“, die in Rot, Grün und Braun prunkende „Blonde mit Fuchs“ , „Die Angriffslustige“ oder der zärtliche Blick auf die stillende Mutter ist – stets umgibt den Akt eine sehr persönliche Aura. Ein auf einen grünen Hocker gestellter, mit schwarzem Absatzschuh geschmückter Fuß ist so ein Attribut, Kettchen mit Herz, kniehohe Strümpfe, bunte Tücher, ein kleiner Bistrotisch samt Weinglas, alte Polstersessel, oder, von bodenständiger Komik, auch eine Kuhbank. Und manchmal hört man Veit Relin zu seinen Einfällen auch lachen.


Immer passt alles zusammen. Wie auch bei den Figurinen im Treppenhaus. Sie führen hinauf zu dem Film „Wie man Wünsche beim Schwanz packt“. Veit Relin hat das Drama von Pablo Picasso in seinem avantgardistischen Theater am Naschmarkt in Wien uraufgeführt. Die Verfilmung hat seine damalige Ehefrau Maria Schell dem starrköpfigen Spanier abgetrotzt. Und was in diesem Film passiert, das ist die schiere Lust am Augenblick. Aus Liebe und Leidenschaft.


Ich hoffe, dass ich es jetzt richtig sage, nämlich, dass Sie bei diesem Film Privatgäste sind, weil dieser Film nicht präsentiert werden darf. Das ZDF verwahrt ihn in seinem Giftschrank – aus welchen Gründen auch immer. Als Journalistin kann, nein, muss ich sagen, dass eine solche Zensur, die mit dem Eigentumsrecht begründet wird, unverzeihlich und für ein Kunstwerk tödlich ist. Kunst braucht die Öffentlichkeit und die Öffentlichkeit bedarf der Kunst. Immer, zu jeder Zeit.


Und Sie sind die Öffentlichkeit. Hier ist die Kunst. Der ganze Veit Relin. Ihm hier zu begegnen, dabei wünsche ich Ihnen Zeit, Muße und Freude.


~ Anneliese Euler

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